Die Kornernte / The Harvesters
Mit diesem Bild setzte sich im 16. Jahrhundert die Malerei von religiösen Motiven ab und wurde, natürlich mit Ausnahmen, profan. Mit ihm erreichte die flämische Malerei ihren Höhepunkt. Sein Erschaffer, Pieter Bruegel der Ältere, schuf "Die Kornernte" 1565 für den Antwerpener Nicolaes Jonghelinck, Kaufmann, Bankier und Kunstsammler. Jonghelinck besaß etliche Bilder von Breugel, neben dem er dessen Zeitgenossen und Kollegen
Frans Floris besonders schätzte. Wie Bruegel gehört Floris zu den bedeutendsten Wegbereitern der damaligen zeitgenössischen Malerei. Mit seinen Werken legte er den Grundstein zur Nordischen Renaissance.
Mehr als nur lustiges Landleben
Die Kornernte Detailausschnitt 1
"Die Kornernte", Öl auf Holz, 119 auf 162 Zentimeter groß, heute im
Metropolitan Museum of Art in New York, gehört zu einer Serie von Bildern, denen Pieter Bruegel seinen Spitznamen "Bauernbruegel" oder auf Niederländisch "De Drol" (Der Drollige) verdankt. Diese Namen führen allerdings leicht in die Irre, denn sein Träger malte zwar viele ländliche Sujets. Bruegel begründete mit ihnen das niederländische Bauerngenre. Sein Schaffen blieb aber keineswegs auf diese Abbilder des ländlichen Lebens beschränkt, sondern umfasste zahlreiche allegorische Werke, die sogar bekannte Sprichwörter darstellten und so "sehbar" machten. Die Genrebilder, zu deren bekanntesten "
Die Bauernhochzeit" gehört, sind sogar in der Minderzahl. Gleichzeitig sind diese scheinbar so lässig hingeworfenen Szenen zwar amüsant, aber keineswegs nur illustrativ drollig. Das erschließt sich aber erst bei genauerem Hinsehen. Kaum jemals hat ein Maler derart viele Details in einer einzigen Szene abgebildet, und kaum jemals hat ein Anderer eine derartige Bedeutungstiefe mit seiner Malerei erreicht wie er. Selbst kleinste Einzelheiten sind in Pieter Bruegels Bildern Träger irgend einer tieferen Bedeutung oder Symbolik. Seine Söhne
Pieter der Jüngere, geboren 1564, und
Jan, geboren 1568, wurden zwar ebenfalls berühmt, haben aber nie die Bedeutung des Vaters erreicht.
Kompositionskunst und malerisches Können in Vollendung
Die Kornernte Detailausschnitt 2
Ganz ungezwungen kommt die Szene daher: Bauern, sowohl Frauen als auch Männer, sind auf einem Weizenfeld mit der Ernte beschäftigt. Einige sind an der Arbeit, andere sitzen unter einem Birnbaum und nehmen ein Essen ein: Suppe oder Brei, wie es scheint. Eine Frau mit einem Käsebrot auf der rechten Hand sitzt mit dem Rücken zum Betrachter. Eine andere Frau und ein Mann sehen als einzige auf dem Bild direkt in seine Richtung, als blickten sie in das Objektiv eines Fotoapparats. Alle anderen Figuren sind mit sich selbst beschäftigt. Einer ruht sich, von der Hitze überwältigt, unter dem Birnbaum aus. Hinten sammelt jemand Fallobst ein. Mehrere Männer sind dabei, weiteres Korn zu schneiden. Den Hang herauf trottet einer schweren Schrittes mit zwei vollen Krügen durch das Feld, in das eine Schneise als Weg geschnitten worden ist. Am Hangweg sind drei Personen mit fertigen Garben auf den Schultern unterwegs in Richtung auf einen bereits voll beladenen Wagen hin. Von dem aus schweift der Blick weiter und immer weiter: Rechts von dem beladenen Wagen ist ein Teich zu sehen, in dem Mönche, nachdem sie sich ausgezogen haben, zum Baden gehen. Auf einer Wiese tummelt sich lebhaft eine durcheinander wimmelnde Menge. Hinter dieser Szenerie steigt wieder ein Hügel an - mit weiteren gelben Weizenfeldern darauf. Damit nicht genug: Noch weiter hinten duckt sich im zunehmenden Dunst ein Dorf an eine Meeresbucht, auf der etliche Schiffe unterwegs sind. Und immer noch weiter reicht der bewundernde Blick, bis zu einer fernen Landzunge, die zuletzt einen nicht mehr definierbaren Höhenzug am endgültigen Horizont erahnen lässt. Wohlüberlegt hat Bruegel die gesamte Landschaft in hintereinander liegenden Schichten aufgebaut, und hier kommt auch ein Teil der Symbolik ins Spiel, von der oben die Rede war. Das große gelbe Kornfeld im Vordergrund und das weiter entfernte erinnern an den Reichtum der Niederlande in jener Zeit, der seinen Ursprung unter anderem im Weizen hatte. Der wurde nicht nur im eigenen Land verbraucht, sondern zu hohen Preisen ins Ausland gebracht. Daher die Schiffe. Das ganze Gemälde, einschließlich der friedlich vor sich hin arbeitenden Bauern, ist Ausdruck von Ruhe, Zufriedenheit und Wohlstand, auch auf dem Lande. Und es erzählt mit den Arbeitern, den Feldern, den gebundenen Garben, dem Wagen und den Schiffen eine komplette Geschichte. Unübertroffen, was die Komposition angeht, ist auch die Perfektion, mit der Pieter Bruegel das Grundgerüst des Bildes angelegt hat. Der Birnbaum, unter dem die Bäuerinnen und Bauern sich zum Essen auf einem weißen Tuch hingesetzt haben, teilt Links und Rechts perfekt im Verhältnis des sogenannten "Goldenen Schnitts", und der kräftige Vordergrund, in dem in gewaltigem Wogen das gerade bearbeitete Weizenfeld schräg von links unten nach rechts in die Mitte grätscht, setzt sich deutlich von den dahinter liegenden helleren Schichten ab. So erreicht Bruegel mit unnachahmlicher Leichtigkeit den Eindruck einer enormen räumlichen Tiefe.
Ein früh aufgegangener Stern, der relativ früh unterging
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Es ist nicht genau bekannt, wann Pieter Bruegel geboren wurde. Vermutlich war es etwa zwischen 1520 und 1530. Sicher ist sein Todesdatum, der 9. September 1569. Das heißt: selbst wenn man das früheste Geburtsdatum annimmt, blieben dem Künstler maximal neunundvierzig Jahre für sein reich erfülltes Leben. Früh fing er an zu lernen, und früh war er vollkommen. Dabei fand er immerhin Zeit genug, eine Weile in Rom zu leben und zu arbeiten. Wieder daheim, heiratete er in Brüssel wenige Jahre später die Tochter seines ehemaligen Lehrmeisters
Pieter Coecke van Aelst, Mayken Coecke. Auf seiner dreijährigen Italienreise hatte sich bereits die Landschaftsmalerei als sein bevorzugtes Thema herauskristallisiert. Eines seiner wichtigsten Vorbilder dagegen hatte er in der Heimat. Bruegel bewunderte
Hieronymus Bosch und hat sich oft auf ihn bezogen. Das Triptychon "
Der Garten der Lüste" war nur eines von vielen Werken seines Vorbilds, das Stoff zum Zitieren genug bot, was Bruegel vor allem in seinen frühen Werken tat. In späteren Jahren fand er zu einer völlig eigenen Bildsprache.
Einst im Besitz von Königen und Kaisern, heute in alle Winde verstreut
"Die Kornernte" ist eines aus einer Serie von fünf, möglicherweise ursprünglich sechs Bildern, die als Jahreszeiten-Zyklus entstanden, und die nach Jonghelincks in königliche und kaiserliche Hände in halb Europa gelangten. Irgendwann wurden sie getrennt. "Die Kornernte" fand ins Metropolitan Museum of Art in New York im Jahr 1912. Von Pieter Bruegel sind rund 40 Gemälde überliefert, die eindeutig ihm zuzuordnen sind.
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